Im zweiten Teil dieser Serie…
…haben wir erörtert, wie freie und Open-Source-Lizenzen (FOSL) mit aktuellen rechtlichen Definitionen und regulatorischen Rahmenbedingungen zusammenwirken, insbesondere im Kontext des EU AI Acts. Zudem haben wir untersucht, inwiefern FOSL bestimmte KI-Systeme und allgemein einsetzbare KI-Modelle von regulatorischen Verpflichtungen ausnehmen kann und welche rechtlichen Unsicherheiten in Bezug auf geistige Eigentumsrechte an KI-Komponenten – etwa KI-Modellen – bestehen.
In diesem Abschnitt richten wir den Fokus nun auf die verfügbaren FOSL-Optionen für KI-Technologien und beleuchten zentrale rechtliche, ethische und strategische Überlegungen, die Entwickler:innen und Anwender:innen bei der Auswahl und Anwendung solcher Lizenzen berücksichtigen sollten. Los geht’s!
Einführung
Angenommen, du entwickelst KI-Technologien. Vielleicht möchtest du solche Technologien einfach in deinem Unternehmen einsetzen. Oder du willst bereits bestehende KI-Komponenten anpassen und für deine eigenen Anwendungsfälle weiterentwickeln. Warum solltest du dich dann mit freien und Open-Source-Lizenzen beschäftigen?
In dieser Blogserie beantworten wir einige zentrale Fragen zu einem Thema, das in der Debatte um KI-Regulierung und -Einsatz in Europa und anderswo bisher wenig Beachtung gefunden hat. Unser Fazit: Du solltest dich mit freien und Open-Source-Lizenzen (FOSL) beschäftigen, wenn du z. B. deine Technologie teilen, aber deine IP-Rechte wahren und gleichzeitig bestimmte ethische Anforderungen durchsetzen willst. Oder auch, wenn du eine Komponente mit Open-Source-Lizenz in dein System integrieren möchtest.
Warum solltest du dich mit Open Licensing befassen?
Auch als Endnutzer:in von KI-Werkzeugen, die unter einer offenen Lizenz veröffentlicht wurden, ist Open Licensing für dich relevant. Öffentliche (im Sinne von „offene”) Lizenzen erfordern keinen direkten Kontakt mit der Person, welche die Rechte besitzt. Sie bieten sowohl Entwickler:innen als auch Nutzer:innen eine interessante Handlungsmöglichkeit – mit wichtigen rechtlichen, vertraglichen und strategischen Implikationen für alle Beteiligten.
Doch was genau sind freie und Open-Source-Lizenzen, und was haben sie mit KI zu tun? Welche Auswirkungen haben sie auf dein geistiges Eigentum als Entwickler:in oder auf deine Handlungsspielräume als Nutzer:in? Welche Lizenzmodelle gibt es, und welches davon passt zu deinem Vorhaben? Welche Vorteile bringt eine offene Lizenzierung für KI-Tools, etwa im Hinblick auf die Einhaltung des EU AI Act?
Diese Blogserie soll etwas Licht ins Dunkel bringen und dir helfen, herauszufinden, ob und warum freie und Open-Source-Lizenzen für dich relevant sein könnten.
Welche FOSL-Optionen stehen für KI-Technologien zur Verfügung?
Angenommen, du bist Entwickler:in und ziehst in Betracht, dein KI-System oder -Modell unter einer Open-Source-Lizenz zu veröffentlichen: Welche Möglichkeiten stehen dir offen?
Eine (nicht abschließende) Liste von Konzeptionsansätzen und Lizenzierungsplattformen, die speziell für den Bereich der KI-Technologien entwickelt wurden, umfasst unter anderem die Open Source Initiative (OSI). Diese Initiative bietet eine eigene Definition von Open Source AI mit dem Anspruch, Sicherheit und Transparenz, Wettbewerb, Diversität sowie eine vielfältige Anwendungslandschaft zu fördern.
Die OSI erläutert dabei den Unterschied zwischen dieser Definition und dem allgemein bekannten Open-Source-Begriff im Zusammenhang mit Softwareprogrammen wie folgt:
“The Open Source Definition (OSD) refers to software programs. AI and specifically machine learning systems are not simply software programs; they blend boundaries with data, configuration options, documentation and new artifacts, like weights and biases. The Open Source AI Definition describes the preferred form to modify an AI system, providing clarity on interpreting the principles of the OSD in the domain of AI.”
Die Definition von Open Source AI (AIOSD) greift das langjährige Open-Source-Prinzip auf, indem sie allen das Recht einräumt, eine Technologie zu nutzen, zu analysieren, zu verändern und weiterzugeben („Freiheit“). Die OSI unterscheidet darüber hinaus zwischen einer sogenannten „Open Weights“-Lizenzierung, einer eingeschränkteren Form der Freigabe, die unterschiedlichen OSI-Lizenzen unterliegen kann, und dem Begriff „Open Source AI“. Letzterer verpflichtet per Definition zur Offenlegung des Trainingscodes, der Zusammensetzung der Trainingsdaten und gegebenenfalls auch des Trainingsdatensatzes selbst.
Ebenfalls auf unserer verkürzten Liste steht Creative Commons – eine Organisation, die erkannt zu haben scheint, dass ihre Lizenzen insbesondere im Zusammenhang mit urheberrechtlich geschützten Werken Anwendung finden können, die zum Trainieren von KI-Modellen verwendet werden. (Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit diesem Thema empfehlen wir diesen Artikel) Weniger geeignet sind CC-Lizenzen hingegen, wenn es darum geht, vollständige KI-Systeme und/oder deren einzelne Komponenten rechtlich abzudecken.
Hierbei ist grundsätzlich zwischen zwei rechtlichen Fragestellungen zu unterscheiden: Urheberrechtsverletzungen, die beim Training eines Modells auftreten, versus Urheberrechtsverletzungen, die erst bei der Nutzung des (bereits trainierten) Modells entstehen. Gleichzeitig kann eine CC-Lizenz dennoch auf eine urheberrechtlich geschützte Software (zB für den Inference System Code, welcher die in den Gewichten codierten Instruktionen ausführt) oder Datenbanken Anwendung finden, die in ein KI-System integriert wurden oder als dessen Bestandteil konzipiert sind.
Einführung der Responsible AI Licenses (RAIL)
Eine weitere, neuere Initiative, die gezielt darauf abzielt, KI-Entwickler:innen im Umgang mit geistigem Eigentum an ihrer Technologie zu stärken, sind die Responsible AI Licenses (RAIL). Sie verfolgen das Ziel, Entwickler:innen bei der Lösung eines moralischen Dilemmas zu unterstützen: Einerseits möchten sie Algorithmen, Code oder Daten offenlegen und teilen, andererseits besteht die Sorge, dass Dritte dieses Wissen für Zwecke nutzen könnten, die sie selbst als unverantwortlich oder schädlich einstufen würden.
RAIL erläutert dazu auf ihrer Website:
“These licenses include behavioral-use clauses which grant permissions for specific use-cases and/or restrict certain use-cases. In case a license permits derivative works, RAIL Licenses also require that the use of any downstream derivatives (including use, modification, redistribution, repackaging) of the licensed artificial must abide by the behavioral-use restrictions.”
RAIL bietet eine modulare Struktur, die es Entwickler:innen ermöglicht, eine Lizenz nach ihren individuellen Präferenzen zusammenzustellen – zugleich stellt die Initiative aber auch gebrauchsfertige Lizenzvorlagen zur Verfügung. Interessanterweise existieren dabei spezifische Lizenzen für KI-Modelle (AIPubs OpenRAIL-M), eine separate Lizenz für Quellcode (AIPubs OpenRAIL-S) sowie Endnutzer-Lizenzverträge und Lizenzen für weitere Komponenten wie Daten oder Anwendungen. Die Lizenzen enthalten wichtige Begriffsbestimmungen zu zentralen Konzepten, die zur Weiterentwicklung in diesem Bereich beitragen können. So finden sich etwa in der AI Pubs OpenRAIL-Lizenz für Modelle definierte Begriffe wie „Model“, „Complimentary Material“ und „Derivatives of the Model“.
Auch hier beruht die Wirksamkeit dieser juristischen Instrumente maßgeblich auf der direkten Verankerung im Immaterialgüterrecht, das als lizenzrechtliche Grundlage für KI-Technologien dient. So heißt es beispielsweise in Abschnitt II der oben genannten RAIL-Lizenz für Modelle:
“Both copyright and patent grants may apply to the Model and Derivatives of the Model. The Model and Derivatives of the Model are subject to additional terms as described in Section III, which shall govern the use of the Model and Derivatives of the Model even in the event Section II is held unenforceable.”
Dementsprechend ist dieses Instrument darauf ausgelegt, eine öffentliche Urheberrechts- und Patentrechtslizenz bereitzustellen, ergänzt um eine Liste von Nutzungs- bzw. Verhaltensbeschränkungen, die in „Anhang A“ der Lizenz näher spezifiziert sind – insbesondere in Bezug auf Schaden, Diskriminierung und Transparenz. Die Intention besteht darin, dass die Lizenz in gewissem Maße ähnlich funktioniert wie andere Open-Source-Lizenzen, dabei jedoch einen stärkeren Fokus nicht nur auf Freiheit, sondern auch auf ethische Einschränkungen wie das „do-no-harm“-Prinzip legt. Für weitere Details empfiehlt sich dieser Blogartikel.
Was bedeutet FOSL für mich als Entwickler:in?

Als Entwickler:in von KI-Technologien hast du nun ein besseres Verständnis davon, was FOSL bedeutet und wie es deine Ziele unterstützen kann. Jetzt kannst du dich den Fragen zuwenden, die für deine konkrete Situation entscheidend sind und auf dieser Grundlage eine fundierte Entscheidung über deine Lizenzstrategie treffen.
- Exklusive Rechte: Welche immateriellen Schutzrechte decken meine Technologie ab – wenn überhaupt?
- Lizenzierungsstrategie: Möchte ich eine proprietäre oder eher eine offene Lizenzierungsstrategie verfolgen?
- Subjektiv-ethische Präferenzen: Möchtest du durch eine bewusste Lizenzwahl die Freiheit fördern, Informationen zu nutzen und auszutauschen, gemeinsam zu arbeiten, zu lernen, weiterzugeben und auf bestehendem Wissen aufzubauen? Oder willst du Verhaltensbeschränkungen auferlegen?
- Objektiv-rechtliche Präferenzen: Bist du bereit, öffentliche Nutzungs- und Zugriffsrechte an deinem geistigen Eigentum, deinem Wissen oder deinen Daten zu gewähren – und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
- „Share-alike“-Prinzip: Bestehst du darauf, dass alle Nutzer:innen und Weiterentwickler:innen deiner Technologie entlang der gesamten Wertschöpfungskette deine Bedingungen einhalten?
- Monetarisierung: Möchtest du deine Technologie direkt oder indirekt (z. B. über Services, Support oder ergänzende Produkte) monetarisieren? Soll die kommerzielle Nutzung durch die Lizenz eingeschränkt werden?
- Regulatorische Vorteile: Kannst du durch die Wahl einer bestimmten FOSL-Lizenz regulatorische Vorteile in Bezug auf die Einhaltung von Vorgaben für KI-Systeme und -Modelle erzielen?
- Vereinfachung und Kostenersparnis: Kannst du auf bestehende, frei verfügbare „off-the-shelf“-Lizenzen oder modulare Instrumente zurückgreifen, die sich ohne juristische Beratung konfigurieren und anwenden lassen?
- Unterstützungsbedarf: Benötigst du spezialisierte Unterstützung, um all diese Fragen zu beantworten oder kannst du sie intern klären?
Hinsichtlich der letzten Frage ist es wahrscheinlich, dass spezialisiertes Fachwissen in den folgenden Bereichen erforderlich ist:
- Identifikation von Schutzrechten und Exklusivitätsbereichen;
- Ermittlung geeigneter öffentlicher Lizenzmodelle, die deine subjektiven Präferenzen und Zielsetzungen am besten abbilden können;
- Bewertung des Bedarfs, den juristischen Lizenztext an individuelle Anforderungen anzupassen;
- Verständnis der rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen, die sich aus der Unterstellung deiner Technologie unter eine bestimmte Lizenz ergeben;
- Analyse von Risiken und Chancen einer gewählten Lizenzierungsstrategie;
- Verständnis der Konsequenzen bei Verletzung der Lizenzbedingungen sowie der Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung.
Was bedeutet FOSL für mich als Zweitnutzer:in?
Wenn du die KI-Technologie nicht selbst entwickelt hast (und damit die Rechte an dieser innehast), sie aber für eigene Zwecke nutzen möchtest – sei es kommerziell oder nicht-kommerziell, als Endnutzer:in oder als Weiterentwickler:in, der oder die verbesserte Produkte anbietet –, gilt ein zentrales Prinzip: Du musst von Anfang an die Lizenzbedingungen der jeweiligen Technologie verstehen – also, was von der Lizenz abgedeckt ist und was nicht, und was du tun musst, um die Technologie mit möglichst geringem rechtlichen Risiko nutzen zu können.
Dieser Prüfprozess ist typischerweise Teil des Compliance- bzw. Governance-Programms einer Organisation und betrifft verschiedene Phasen: strategische Planung, Produktentwicklung, Ideation, technischer Aufbau, Einsatz, Integration in andere Systeme oder Produkte, Modifikation und Weiterverbreitung. Es ist hilfreich, Technologien und Tools zu identifizieren, die unter FOSL häufig kostenlos veröffentlicht wurden und die du rechtssicher einsetzen kannst. Ebenso wichtig ist es jedoch, die Grenzen solcher Lizenzen zu verstehen, um Haftungsrisiken und finanzielle Schäden zu vermeiden.
Fazit
Freie und Open-Source-Lizenzierung (FOSL) stellt eine wesentliche, jedoch rechtlich und strategisch komplexe Dimension für die Entwicklung, den Einsatz und die Nutzung von KI-Technologien dar. Wie in unserer Blogserie erläutert, bietet FOSL Entwickler:innen nicht nur die Möglichkeit, ihre Innovationen zu teilen, sondern auch, einen gewissen Einfluss auf das geistige Eigentum zu behalten und gegebenenfalls ethische Nutzungsbeschränkungen anzuwenden. Für KI-Nutzer:innen und Organisationen eröffnet FOSL die Perspektive, den Zugang zu fortschrittlichen Technologien zu erweitern, Eintrittsbarrieren und Transaktionskosten zu senken sowie kollaborative Innovation zu fördern – vorausgesetzt, die Lizenzbedingungen werden gründlich verstanden und eingehalten.
Was bedeutet der EU AI Act wirklich für Open-Source-KI?
Der jüngste EU AI Act sowie die zugehörigen Leitlinien für generalistische KI-Modelle schaffen wichtige Klarheit hinsichtlich der regulatorischen Behandlung von Open-Source-KI und räumen für FOSL-Systeme einige begrenzte Ausnahmen ein – mit Ausnahme von hochriskanten oder kommerzialisierten Anwendungsfällen. Dieser regulatorische Ansatz erkennt den Wert von FOSL bei der Förderung von Forschung, Innovation und Transparenz an. Das regulatorische Umfeld befindet sich jedoch weiterhin im Wandel, wobei laufende EU-Konsultationen voraussichtlich die zukünftige Entwicklung der Leitlinien und des Verhaltenskodex prägen werden, möglicherweise mit Blick auf das Zusammenspiel von Open-Source-Lizenzen mit ethischen Beschränkungen und Monetarisierung.
Was Entwickler:innen und Nutzer:innen priorisieren sollten
Für KI-Entwickler:innen erfordert die Navigation durch FOSL eine sorgfältige Bewertung des geistigen Eigentumsstatus ihrer Technologie, ihrer Lizenzierungsziele (einschließlich der Frage, ob Offenheit, Kommerzialisierung oder ethische Kontrollmechanismen verfolgt werden sollen) sowie der praktischen Auswirkungen verschiedener verfügbarer Lizenzen – sei es GPL, Creative Commons oder neuere Lösungen wie RAIL, die speziell für KI-Technologien konzipiert wurden. Nutzer:innen hingegen müssen Compliance und Risikomanagement priorisieren, da ein Missverständnis der Lizenzbedingungen erhebliche rechtliche und finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen kann.
Ausblick: Wie steht es um die Verbreitung von Open-Source-KI?
Mit Blick in Zukunft könnte die Verbindung von KI-Technologie, Regulierung und Open Source an Relevanz und Bedeutung gewinnen. Diese Lizenzen für KI sind vor Gericht bislang noch nicht geprüft worden, und es gibt bisher nur wenige Versuche, sie durchzusetzen – möglicherweise aufgrund der Komplexität der rechtlichen Fragestellungen. Dennoch ist mit einer zunehmenden Spezialisierung der FOSL-Instrumente für KI, weiterer regulatorischer Klarheit und einer wachsenden Kultur der Offenheit in Verbindung mit Verantwortlichkeit zu rechnen. Sowohl Entwickler:innen als auch Nutzer:innen müssen informiert und flexibel bleiben, um sicherzustellen, dass ihre Innovations- und Adoptionsstrategien mit den rechtlichen und ethischen Best Practices sowie mit ihrer eigenen Risikobereitschaft in Einklang stehen.