Das Daten-Dilemma der Mode: Strategisches Management oder Planlosigkeit?

Das Daten-Dilemma der Mode: Strategisches Management oder Planlosigkeit?

Daten sind mittlerweile in allen Branchen zu einer zentralen Ressource geworden. Unternehmen sammeln und analysieren kontinuierlich Informationen über Kund:innen, Produkte und betriebliche Prozesse, um ihre Performance zu verbessern. In diesem Artikel werfen wir einen genaueren Blick auf die Modebranche und ihr Verhältnis zu Daten (Spoiler: es ist kompliziert). Wir schauen uns besonders das strategische Datenmanagement an, den aktuellen Status quo und warum es für Modeunternehmen so unverzichtbar ist.

Einleitung: Was du über die Modebranche wissen musst

Die Modebranche ist ein zentraler Player in der globalen Wirtschaft und steht ständig unter Druck durch Marktveränderungen und wirtschaftliche Unsicherheiten. Obwohl sie historisch tief in traditionellem Handwerk verwurzelt ist, hat sie sich immer wieder an technologische und gesellschaftliche Veränderungen angepasst. Als eine der ältesten und dynamischsten Branchen wird die Modeindustrie heute gleichermaßen durch Big Data und digitale Innovation gestärkt wie herausgefordert. Außerdem ist sie ein hochkompetitiver Markt, in dem zahlreiche Anbieter:innen sehr ähnliche Produkte verkaufen. Charakteristisch für die Branche ist zudem die starke Segmentierung von Produkten, die aufgrund des stetigen Wechsels von Saisons und Trends extrem volatil bleiben.

In den letzten Jahrzehnten haben Globalisierung und veränderte Kundenerwartungen die Struktur und Anforderungen des Modemarkts massiv verändert. Unternehmen müssen heute komplexe Lieferketten steuern, sich wahnsinnig schnell an Trends anpassen und gleichzeitig steigende Erwartungen an Personalisierung und Nachhaltigkeit erfüllen.

Ein Modeunternehmen vereint in seiner Struktur sehr unterschiedliche Rollen: von hochkreativen bis hin zu analytischen und Management-Aufgaben. Gerade diese organisatorische Komplexität macht es schwer, die Modebranche als einheitliche Industrie zu analysieren – wir versuchen es in diesem Artikel trotzdem mal.

Was sind Daten in der Mode?

Nachdem wir geklärt haben, was die Modebranche so besonders macht, ist es wichtig, einen genaueren Blick auf die Eigenschaften und Arten der branchenspezifischen Daten zu werfen. So bekommst du ein besseres Verständnis für die Komplexität und Möglichkeiten des Datenmanagements in der Branche.

Grundsätzlich kann man alle Daten, die mit einem Modeprodukt verknüpft sind, als Mode-Daten bezeichnet. Sie lassen sich unter anderem einteilen in:

  • Das Material (Stoff und Gewebe), charakterisiert durch Garn, Dichte etc.;
  • Das Produktdesign, welches eine Kombination aus Designprinzipien und -elementen ist, oft beeinflusst von Emotionen, Themen und Anlässen;
  • Körperdaten, also Informationen zu Körpermaßen und Körpertypen, die zweidimensional per Maßband oder dreidimensional mit Bodyscannern erfasst werden;
  • Das technische Design des Produktionsprozesses, welches Produzent:innen zu verstehen hilft, wie das Produkt gefertigt wird, inkl. Schnittmuster, Nähen und weiteren produktionstechnischen Fähigkeiten.
Um die Komplexität des Datenmanagements in der Mode zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Produktdaten der Modebranche. Grafik erstellt von der Autorin.

Big Data in der Mode

Big Data treibt die digitale Transformation in allen Branchen voran. Gemeint sind Datensätze, die zu groß oder zu komplex sind, um mit herkömmlichen IT-Systemen verarbeitet zu werden, und Daten aus vielen verschiedene Quellen zusammenbringen. Big Data ist groß, oft unordentlich und weniger präzise als klassische kleine Datensätze. Eine der Herausforderungen: Diese Datenmengen sprengen die Kapazitäten traditioneller Software.

In der Mode reicht Big Data von Point-of-Sale-Daten (POS) über physikalische Textildaten bis hin zu Social-Media-Feedback. So können Marken ihre beliebtesten Produkte im Blick behalten, Kundenfeedback auswerten und das Einkaufsverhalten besser verstehen.

Was ist strategisches Datenmanagement?

Datenmanagement beschreibt allgemein den täglichen Umgang mit Daten in einer Organisation. Strategisches Datenmanagement ist dagegen die strukturierte und zielgerichtete Handhabung von Daten: die Kombination aus technischer/operativer Basis (z. B. Datenerfassung, Register, Qualität) und übergeordneter strategischer Führung. Das sorgt dafür, dass Daten nicht nur zugänglich und nutzbar sind, sondern auch aktiv in Entscheidungsprozesse einfließen und zu den langfristigen Zielen der Organisation passen.

Für diesen Artikel definieren wir strategisches Datenmanagement also als Zusammenspiel von operativer Basis (Datenmanagement) und strategischer Perspektive (Data Governance).

Warum ist strategisches Datenmanagement so wichtig?

Die Datenmengen in der Modebranche explodieren, besonders durch den Aufstieg von Fast Fashion. Das macht den effizienten Einsatz von Daten zu einer strategischen Notwendigkeit. Wettbewerber wie Shein setzen auf extrem datengetriebene Geschäftsmodelle und erhöhen so den Druck auf traditionelle Marken. Sie nutzen Verhaltensdaten der Kund:innen, passen Lieferketten und Preise in Echtzeit an und können Trends vorhersagen.

Dazu kommt: Immer strengere Datenschutzgesetze machen das Thema noch komplexer. Modeunternehmen müssen nicht nur Daten managen, sondern auch das Vertrauen der Kund:innen gewinnen, denn deren Daten sind ein wesentlicher Teil des Potenzials.

Übrigens: Ein besonders spannender Einsatz von Kundendaten im Online-Shopping sind sogenannte Verhaltensdatenmodelle (auf Englisch: Behavioral Data Models). Der Artikel meines Kollegen darüber ist sehr interessant, wenn du eher technisch unterwegs bist!

Die Rolle der Datenethik

Strategisches Datenmanagement sollte auch einen klaren Ansatz zur Datenethik beinhalten: für einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten und Algorithmen. Das bedeutet Transparenz, Fairness, Verantwortlichkeit und die Einhaltung von Regularien wie der DSGVO. Ethik schützt nicht nur individuelle Rechte. Sie hilft auch, Bias zu vermeiden und das Vertrauen in datengetriebene Entscheidungen zu sichern.

Die Bedeutung der Datensicherheit

Es ist besonders wichtig, Datensicherheit in den Prozess des strategischen Datenmanagements einzubeziehen, da Kundendaten hochgradig identifizierbare und sensible Informationen enthalten können, wie zum Beispiel Kreditkartennummern, demografische Merkmale oder Aufzeichnungen privater Transaktionen. Unternehmen sollten derartige Daten daher mit besonderer Sorgfalt behandeln. Insbesondere wenn unterschiedliche Datensätze gemeinsam gespeichert werden, steigt das Risiko der Re-Identifizierung von Kund:innen.

Kurz gesagt:

  1. Aus Daten echten Wert zu schöpfen, heißt, sie aktiv zu managen.
  2. Klare strategische Unternehmensziele zu definieren, erleichtert es später, eine passende Datenstrategie zu entwickeln, die wiederum ein besseres Datenmanagement und eine höhere Datenqualität unterstützt.
  3. Organisationen benötigen eine umfassende Datenstrategie, um Unternehmensziele mit den technischen Fähigkeiten in Einklang zu bringen. Die zunehmende Komplexität von Daten macht eine klare Datenstrategie wichtiger denn je.
  4. Besonders in großen Organisationen können schlecht verwaltete Daten aus mehreren Quellen den gesamten Datenfluss der Organisation stören. Es ist daher sehr wichtig, bereits früh selbst grundlegende Datenelemente, wie Adressformate oder Felddefinitionen, zu verwalten, um Konsistenz zu gewährleisten und zukünftige Komplikationen zu vermeiden.
  5. Ein grundlegender Schritt im strategischen Datenmanagement besteht darin, Daten und Informationen auf Augenhöhe mit finanziellen oder physischen Ressourcen zu behandeln, da alle sehr sorgfältig verwaltet werden müssen.

Die allgemeinen Herausforderungen im Umgang mit Daten

Einige der zentralen und eher allgemeinen Herausforderungen im strategischen Datenmanagement liegen im Mangel an Skills, Tools und Technologien. Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, ihre Datenquellen auf einer Plattform zu bündeln, die ein tieferes Verständnis für die Bedürfnisse der Kund:innen und die Ziele der Marke ermöglicht. Ohne die nötigen Datenkompetenzen und Werkzeuge fehlt oft der klare Überblick, fundierte Entscheidungen zu treffen, und am Ende steht die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel.

Alle Mitarbeitenden, die Daten erstellen, aktualisieren oder nutzen, beeinflussen deren Qualität und Wert. Trotzdem sind sich viele nicht bewusst, welche Konsequenzen ihre Handlungen haben können. Auch Führungskräfte sind sich oft nicht im Klaren darüber, welche Daten ihnen überhaupt zur Verfügung stehen. Manchmal legen sie eigene Datenbanken an oder kaufen externe Daten, ohne zu prüfen, welche Informationen bereits im Unternehmen existieren. Das wirft die Frage auf: Werden die vorhandenen Daten wirklich effektiv genutzt und gemanagt?

Die Herausforderungen im Umgang mit Daten in der Modebranche

Gallery & Conlon (2024) schreiben in Fashion business and digital transformation: Technology and innovation across the fashion industry, dass „Datenmanagement ein häufiges Problem in Modeunternehmen ist“ (S.21). Der Grund: Modeunternehmen strugglen mit der ständig wachsenden Datenmenge und sind von den vielen bestehenden Datenquellen überwältigt. Sie tun sich schwer, diese Daten richtig zu verwalten; vom Sammeln über das Speichern bis hin zur Verarbeitung.

Modeunternehmen müssen nicht nur komplexe Beziehungen zu Kund:innen, Lieferant:innen, Wettbewerber:innen und anderen Akteur:innen steuern, sondern stehen auch vor der Herausforderung, hochgradig vernetzte und oft unsichere Daten zu managen. Führungskräfte müssen enorme Datenmengen berücksichtigen, um ihre Abläufe zu optimieren. Eine effektive Verwaltung der Datenflüsse ist dabei essenziell, um fundierte Geschäftsentscheidungen treffen zu können.

Was zeigt ein Blick auf den aktuellen Status quo?

Viele Modeunternehmen, egal ob groß oder klein, verlassen sich immer noch stark auf Excel-Tabellen für das Datenmanagement, weil sie einfach zu bedienen sind und praktische, eingebaute Funktionen bieten. Diese Tools bergen jedoch ein hohes Risiko für menschliche Fehler, müssen häufig aktualisiert werden und sind bei großen Datenmengen oft ineffizient. Deshalb denken Unternehmen zunehmend über integrierte Datenplattformen und smarte Workflows nach, die effizienteres, kollaboratives und optimiertes Arbeiten ermöglichen. In der Praxis können innovative und gut etablierte Datenpraktiken einen spürbaren Unterschied machen: Sie helfen, Überproduktion frühzeitig zu erkennen, Kosten zu senken, den Umsatz zu steigern, Retouren zu reduzieren und die Kundenzufriedenheit durch personalisierte Erlebnisse und stärkere Loyalität zu erhöhen.

Um ihre Geschäftsziele zu erreichen, müssen Modeunternehmen ein klares Verständnis für ihre vorhandenen Daten, die noch benötigten Daten und deren effektive Strukturierung haben, denn schlecht gemanagte Daten besitzen nur sehr geringen strategischen Wert. Während andere Branchen das Datenmanagement bereits als zentrale strategische Funktion etabliert haben, beginnt der Modehandel erst damit, das Potenzial von Big Data zu nutzen, um das Verhalten der Kund:innen besser zu verstehen und das Angebot entsprechend anzupassen.

Die Kenntnis der Daten hinter jedem Kleidungsstück hilft Modemarken, ihre Kund:innen besser zu verstehen und fundiertere Entscheidungen zu treffen. Bild erstellt mit Midjourney.

Ein weiteres häufiges Problem ist das Risiko von Datenlecks, oft verursacht durch unsichere Speicherpraktiken. Egal ob auf physischen Servern oder in der Cloud – unzureichende Zugriffsrechte oder interne Fehlhandhabung können sensible Unternehmens- oder Kundendaten preisgeben. Das unterstreicht die dringende Notwendigkeit für bessere Schutzmaßnahmen, klare Zugriffsregeln und Mitarbeiterschulungen, um ein sicheres Datenmanagement zu gewährleisten.

Diese Entwicklungen zeigen, wie strukturierte Datennutzung sich von einer einfachen technischen Notwendigkeit zu einer zentralen strategischen Ressource entwickeln kann. Sie schafft die Grundlage für fortgeschrittene, datengetriebene Ansätze wie Trendprognosen, die wir in einem zukünftigen Artikel genauer betrachten werden.

Welche Rolle spielen Datenmanagement-Frameworks?

Datenmanagement ist in vielen Branchen bereits ein entscheidender Faktor. Entweder als etablierter Prozess oder als fortlaufende Herausforderung. Es ist daher nicht überraschend, dass eine Reihe von Datenmanagement-Frameworks entwickelt wurde, um Organisationen eine systematische Handhabung von Daten zu ermöglichen. Solche Frameworks können für Modeunternehmen eine nützliche und praktikable Orientierung bieten, besonders wenn sie sich von strengen Datenschutzregelungen oder den vielen datenbezogenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten überwältigt fühlen. Allerdings sind diese Frameworks, wenn sie sehr komplex sind, möglicherweise weniger geeignet für kleine, kreativ geführte Modeunternehmen, die oft weniger strukturelle Datenherausforderungen haben.

Fazit: Was Führungskräfte in Modeunternehmen beachten sollten

Viele Probleme entstehen daraus, dass Mitarbeiter:innen Daten nicht als wertvolle Ressource wahrnehmen, sondern eher als etwas Abstraktes und Schwer zu Handhabendes. Modeunternehmen sollten daher in gut strukturierte interne Schulungen oder extern begleitete Sessions investieren, um die Datenkompetenz im gesamten Unternehmen zu verbessern, nicht nur in speziellen Datenteams. Verantwortlichkeiten im Umgang mit Daten und deren Governance sollten klar zugewiesen werden, besonders für Modeunternehmen mit Sitz in der EU, um den zunehmend strengen Datenschutzregelungen zu entsprechen. Gut gemanagte Daten sind außerdem essenziell für die effektive Nutzung fortschrittlicher Technologien wie GenAI. Diese Tools sind stark datengetrieben und können nur sinnvoll funktionieren, wenn die nötigen Grundlagen – etwa Zugang zu Daten, Datenqualität und klare Prozesse – vorhanden sind.

Mit dem wachsenden Volumen, der steigenden Komplexität und der zunehmenden Relevanz von Daten muss die Modebranche datengetriebene Praktiken immer stärker in ihre Abläufe integrieren. Einerseits ist das entscheidend, um auf dem Markt wettbewerbsfähig zu bleiben, andererseits legt es den Grundstein dafür, innovative und effektive Anwendungen von Daten oder fortschrittlicher Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI) umzusetzen. Dies ist nur möglich, wenn grundlegende Praktiken des Datenmanagements bereits etabliert sind.

Wenn du noch ein bisschen tiefer ins Datenmanagement eintauchen möchtest, empfehle ich dir, in den Artikel meiner Kollegin über die 5 Datenmanagment-Trends in 2025 reinzuschauen.  


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