Einführung
Angenommen, du entwickelst KI-Technologien. Vielleicht möchtest du solche Technologien einfach in deinem Unternehmen einsetzen. Oder du willst bereits bestehende KI-Komponenten anpassen und für deine eigenen Anwendungsfälle weiterentwickeln. Warum solltest du dich dann mit freien und Open-Source-Lizenzen beschäftigen?
In dieser Blogserie beantworten wir einige zentrale Fragen zu einem Thema, das in der Debatte um KI-Regulierung und -Einsatz in Europa und anderswo bisher wenig Beachtung gefunden hat. Unser Fazit: Du solltest dich mit freien und Open-Source-Lizenzen (FOSL) beschäftigen, wenn du z. B. deine Technologie teilen, aber deine IP-Rechte wahren und gleichzeitig bestimmte ethische Anforderungen durchsetzen willst. Oder auch, wenn du eine Komponente mit Open-Source-Lizenz in dein System integrieren möchtest.
Warum solltest du dich mit Open Licensing befassen?
Auch als Endnutzer:in von KI-Werkzeugen, die unter einer offenen Lizenz veröffentlicht wurden, ist Open Licensing für dich relevant. Öffentliche (im Sinne von „offene”) Lizenzen erfordern keinen direkten Kontakt mit der Person, welche die Rechte besitzt. Sie bieten sowohl Entwickler:innen als auch Nutzer:innen eine interessante Handlungsmöglichkeit – mit wichtigen rechtlichen, vertraglichen und strategischen Implikationen für alle Beteiligten.
Doch was genau sind freie und Open-Source-Lizenzen, und was haben sie mit KI zu tun? Welche Auswirkungen haben sie auf dein geistiges Eigentum als Entwickler:in oder auf deine Handlungsspielräume als Nutzer:in? Welche Lizenzmodelle gibt es, und welches davon passt zu deinem Vorhaben? Welche Vorteile bringt eine offene Lizenzierung für KI-Tools, etwa im Hinblick auf die Einhaltung des EU AI Act?
Diese Blogserie soll etwas Licht ins Dunkel bringen und dir helfen, herauszufinden, ob und warum freie und Open-Source-Lizenzen für dich relevant sein könnten.
Was sind freie und Open-Source-Lizenzen (FOSL)?
Produkte, Geräte und Dienste, die unter freien und Open-Source-Lizenzen vertrieben werden, sind heute allgegenwärtig: Linux-basierter Code, Android, Mozilla Firefox, WordPress, LibreOffice, Wikipedia… In diesem ersten Teil werfen wir einen kurzen Blick auf die Ursprünge der Open-Source-Bewegung im Softwarebereich und darauf, wie sich das Konzept später auf andere immaterielle Güter wie Daten oder Patente ausgeweitet hat.
Gerade im Softwarebereich ist FOSL kein neues Phänomen. Freie Software gibt es seit Jahrzehnten. Die erste GNU Public License wurde bereits 1985 von der Free Software Foundation eingeführt und entwickelte sich dann zur prototypischen GNU General Public License (GPL).
Wie hat alles angefangen?
Die Debatte über den urheberrechtlichen Schutz von Software in den 1970er- und 1980er-Jahren führte letztlich dazu, dass Software weitgehend unter die Kategorie des „Sprachwerks“ (in Deutschland nach § 2 Abs. 1 Ziff. 1 iVm § 69a ff. UrhG) fällt und somit urheberrechtlich geschützt ist. Das war allerdings nicht ganz unumstritten, denn Software ist ein hochgradig technisches Arbeitsfeld, das oft kollaborativ in Communities von Programmier:innen entwickelt wird, die Code kopieren, analysieren, verändern und teilen.

In einer Weise, die dem kollaborativen Charakter von gemeinsamer Code-Entwicklung eher zuwiderläuft, verlangt das Urheberrechtssystem individuelle Genehmigungen für die Nutzung von Software und räumt den Autor:innen standardmäßig ein Vetorecht ein. Software wird damit im Grundsatz genauso behandelt wie ein Roman, eine Skulptur, ein Musikstück oder eine künstlerisch gestaltete Fotografie: Sie ist in der Regel gesetzlich als geistiges Eigentum vor unbefugter Nutzung geschützt.
Als Reaktion darauf entstand in diesen Communities das Bedürfnis, dieses automatische Vetorecht zu umgehen und die Logik umzukehren: Erlaubnis statt Verbot. Ziel war, den Zugang zu Wissen und Information auszuweiten und die möglichen negativen Effekte des exklusiven Urheberrechts zu mildern.
Die Ursprünge und Ideale der Open-Access-Bewegung
Tatsächlich setzen sich Open-Access-Bewegungen schon seit Jahrzehnten für die freie Verbreitung von Wissen im Internet ein. Ein Beispiel ist die Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen aus dem Jahr 2003. Ihr Grundgedanke: Rechteinhaber:innen schaffen freiwillig und gemeinschaftlich Plattformen, auf denen Nutzer:innen mehr Freiheit und Rechtssicherheit bei Zugriff und Nutzung von geschütztem Material genießen.
Viele dieser Initiativen haben ihre Wurzeln in der Free-Software-Bewegung, die Anfang der 1980er-Jahre entstand: eine soziale und politische Bewegung, die durch das Projekt der Free Software Foundation entscheidend geprägt wurde. Gemeinsamer Nenner vieler Projekte war, dass bestimmte Informationsressourcen frei bleiben sollten, und zwar, frei von Verschwiegenheitspflichten, restriktiven Lizenzen und exklusiven Ansprüchen aus dem Urheberrecht.
Das Freiheitskonzept in der Free-Software-Bewegung
Die Free-Software-Bewegung verfolgt das Prinzip „Freiheit“ im Umgang mit Software –und zwar im Sinne von Meinungsäußerungsfreiheit, nicht „freies (=kostenloses) Bier“, wie es Richard Stallman einmal treffend formulierte. Laut Definition der Free Software Foundation (FSF) gilt Software dann als „frei“, wenn sie vier Grundfreiheiten gewährt:
- (1) die Freiheit, das Programm auszuführen,
- (2) die Freiheit, den Quellcode zu lesen und zu verändern,
- (3) die Freiheit, das Programm unverändert weiterzugeben,
- (4) die Freiheit, modifizierte Versionen weiterzugeben.
Diese Freiheiten werden durch spezielle Lizenzen wie die GNU General Public License (GPL) gesichert. Sie stellt sicher, dass die Freiheiten mit der Software „mitlaufen“ – auch bei Weitergabe und Veränderung.
Initiativen für einen freieren Zugang zu Wissen
Aus ähnlichen ethischen Motiven heraus wurden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche weitere Projekte ins Leben gerufen, die den freien Zugang zu Wissen und Informationen stärken wollen, auch jenseits des Softwarebereichs. Dazu gehören unter anderem Wikimedia-Projekte, Bildungsprogramme, wissenschaftliche Fachpublikationen und offene Repositorien. Ziel all dieser Vorhaben ist es, Nutzung, Wiederverwendung, Adaption und Weitergabe von Informationen durch rechtlich weniger restriktive Rahmenbedingungen zu erleichtern.
Creative Commons
Eines der einflussreichsten Projekte dieser Bewegung ist Creative Commons (CC). Es überträgt die Prinzipien freier Software auf andere kreative Inhalte. Seit Anfang der 2000er veröffentlicht CC ein stetig weiterentwickeltes Lizenzsystem für Bilder, Musik, Videos, Bücher – und auch für Code.
Offene Lizenzen gehen über das Urheberrecht hinaus
Neben dem Urheberrecht gibt es noch andere Formen geistigen Eigentums, die die Nutzung und Bearbeitung von Informationen einschränken können, etwa Patente oder Datenbankrechte. Auch hier gibt es offene Lizenzmodelle. Für Daten etwa die Open Database License (ODbL) von Open Data Commons. Viele Lizenzen wie die Apache License 2.0 decken sowohl Urheber- als auch Patentrechte gleichzeitig ab und die Open Source Initiative (OSI) führt eine umfangreiche Liste anerkannter Open-Source-Lizenzen, die auf verschiedene Arten von geistigem Eigentum angewendet werden können.
In Teil 2 dieser Serie…
… widmen wir uns den rechtlichen Implikationen von FOSL im Allgemeinen – und dann insbesondere im Kontext von KI-Technologien. Außerdem zeigen wir auf, welche Lizenzmodelle es gibt und worauf du achten solltest, wenn du deine eigenen KI-Systeme oder -Technologien unter einer freien Lizenz veröffentlichen willst. Stay tuned!